Forschungskolleg ACCESS!
Transformationspfade zu einer nachhaltigen Mobilität
Gefördert vom
Nachhaltige Mobilitätsperspektiven für Mensch und Umwelt – eine psychologische Betrachtung

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Dr. Ruth Noppeney (Ehemaliges Mitglied von ACCESS!)
Postdoktorandin am Institut für Psychologie,
Personal- und Organisationspsychologie

Zielsetzung

Ziel ist es, Nachhaltigkeit im Mobilitätssektor aus einer psychologischen Perspektive zu untersuchen. Das Verständnis vom individuellen Erleben und Verhalten soll vertieft, und ggfs. Maßnahmen zur möglichen Einstellungs- und Verhaltensänderung abgeleitet werden.

Thema 1: Reduktion des Individualverkehrs

Individueller Verkehr ist ein bedeutender Bestandteil des täglichen Mobilitätsaufkommens, der erheblich zur Umweltbelastung beiträgt. Laut Projektionsbericht 2023 der Bundesregierung wurden im Verkehrssektor vorgesehene Ziele häufig nicht erreicht und auch im Jahr 2023 konnten nur vergleichsweise geringe Reduktionen der Treibhausgasemissionen verzeichnet werden (Harthan et al., 2023). Neben politischen bzw. strukturellen Maßnahmen bestehen gerade im Verkehrssektor jedoch auch Handlungsmöglichkeiten für den/die einzelne Bürger:in.  Hier gilt es, Gründe für den weiterhin bestehenden hohen Individualverkehr besser zu verstehen. Vornehmlich basierend auf der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1985) wurden innerhalb verschiedener Abschlussarbeiten Faktoren untersucht, die Einzelpersonen zu einer Abkehr vom Individualverkehr motivieren oder sie davon abhalten (z. B. Clusteranalyse von Carsharing-Nutzer:innen (Schoene, 2021), Nutzung von Mobilitätsplanungsapps (Hopp, 2023), förderliche und hinderliche Persönlichkeitsmerkmale (Wittstamm, 2023)). Beispielhaft sollen Befunde zum Thema „Gewohnheiten“ vorgestellt werden.

Gewohnheiten und Mobilität
Ein wichtiger Faktor, der einen Umstieg von motorisiertem Individualverkehr auf Mobilitätsalternativen (z. B. Carsharing, ÖPNV-Nutzung, Fahrradnutzung) entgegensteht, sind Gewohnheiten, welche teilweise über Jahre aufgebaut und nicht mehr hinterfragt werden. Zwei Studien (Interviewstudie, Online-Befragung) beschäftigten sich näher mit Gewohnheiten und Änderungsbereitschaft. In der ersten Studie (Weinert, 2022) wurden anhand von fünf qualitativen Interviews Gewohnheiten auf der einen Seite und der Veränderung von habituellem Mobilitätsverhalten auf der anderen Seite untersucht. Die Befragten waren Studienanfänger:innen. Grundsätzlich bieten Transitionsphasen – hier der Übergang von der Schule an die Universität – eine gute Möglichkeit, automatisierte Verhaltensweisen zu hinterfragen und zu verändern. Es zeigte sich, dass die befragten Studierenden Mobilitätsmuster beibehalten, die konform mit ihren eigenen Werten, Einstellungen und Möglichkeiten waren. Umweltveränderungen (beispielsweise ein Umzug oder finanzielle Veränderungen) riefen jedoch auch Anlässe zur Mobilitätsänderung hervor. Hierbei spielten neben den eigenen Einstellungen auch das enge soziale Umfeld eine Rolle dafür, welche Änderungen im Mobilitätsverhalten initiiert und beibehalten wurden.
In einer weiteren quantitativen Befragungsstudie (N = 217 Teilnehmer:innen;  27.2%% Studierende) konnte außerdem gezeigt werden, dass auch die Persönlichkeit der Nutzer:innen eine Rolle spielt (Wittstamm, 2023). Konkret zeigt sich, dass Personen mit steigender Offenheit für neue Erfahrungen – einem in der Psychologie etablierten, überdauerndem Persönlichkeitsmerkmal – die Wahrscheinlichkeit zunahm, sich Ziele im Hinblick auf ein nachhaltigeres Mobilitätsverhalten zu setzen, während eine geringe Offenheit für neue Erfahrungen mit einer stärkeren mobilitätsbezogenen Veränderungsresistenz einherging.

Thema 2: Individuelles Erleben von Homeoffice und berufsbedingtem Pendeln

Erleben im Homeoffice
Das Homeoffice ist nicht zuletzt durch die COVID-19-Pandemie in vielen Betrieben erprobt, und längerfristig implementiert worden. Bisherige Forschungsarbeiten zeigen, dass die Arbeit im Homeoffice für die Betroffenen sowohl vorteilhaft als auch herausfordernd sein kann. Eher im Hintergrund stand dabei bisher der Einfluss überdauernder Bedürfnisse und Motive, in derer Ausprägung Personen sich voneinander unterscheiden. Aufbauend auf motiv- und bedürfnistheoretischen Modellen (Deci & Ryan, 200; McClelland, 1965) und unter Verwendung einer berufsspezifischen Methode der Motivmessung (Burk & Wiese, 2018) wurde im Rahmen einer Abschlussarbeit (Kempers, 2021) wurde der Zusammenhang zwischen Bedürfnissen nach Anschluss Leistung, Macht und Autonomie auf der einen Seite und Arbeitszufriedenheit und Produktivität im Homeoffice auf der anderen Seite untersucht. Die Ergebnisse dieser Online-Fragebogenstudie mit 192 Erwerbstätigen mit Homeoffice-Erfahrung zeigten, dass ein hohes Leistungsmotiv in einem positiven Zusammenhang mit der Arbeitszufriedenheit und der wahrgenommenen Produktivität im Home-Office steht. Für das Bedürfnis nach Autonomie, das ja im Homeoffice in besonderem Maße erfüllt werden sollte, fand sich erwartungskonform eine höhere Arbeitszufriedenheit. Ein Zusammenhang mit der Produktivität fand sich jedoch nicht. Für Personen mit ausgeprägtem Autonomiebedürfnis scheint es wichtig, Strategien zu entwickeln, um in einer leistungsförderlichen Form mit den gegebenen und von ihnen geschätzten Freiheiten des Homeoffices umzugehen.

Interventionsstudie zum positiveren Erleben des berufsbedingten Pendelns
Während eines sechswöchigen Forschungsaufenthalts im Jahr 2023 an der UIT Tromsø, Norwegen in Kontakt mit Dr. Dana Unger (Associate Professor in Work and Organizational Psychology) wurde ein Forschungsvorhaben entwickelt, welches zum Ziel hat, das Erleben von berufsbedingtem Pendeln für Individuen zu verbessern.
Konkret wurde im Rahmen einer Masterarbeit (Fuhrmann, 2023) eine Interventionsstudie durchgeführt, an der 164 Personen teilnahmen, die als Berufspendler:innen regelmäßig öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Im Rahmen eines randomisierten Kontrollgruppendesigns erhielten die Teilnhmer:innen Material zum Selbststudium (15-minütige Präsentation mit Audiospur sowie ein Handout), das entweder Hilfestellungen zur selbstbestimmteren und bedürfnisorientierten Nutzung der Pendelzeit sowie zur kognitiven Neubewertungen von stressauslösenden Situationen enthielt (Experimentalgruppe) oder rein faktenorientiertes Informationsmaterial zum berufsbedingten Pendeln (Kontrollgruppe). Es schloss sich eine zweiwöchige Tagebuchphase (online) mit täglichen Kurzbefragungen zum Pendelerleben an (inkl. Befragungen am Ende der beiden Wochen). Zudem wurde eine Woche später eine Follow-Up-Erhebung durchgeführt.

Die Ergebnisse zeigen, dass diese recht niedrigschwellige Interventionsform ermöglicht, die Bedürfnisbefriedigung (hier vor allem in Hinblick auf das Autonomiebedürfnis) während des berufsbedingten Pendelns zu verbessern und das pendelbezogene Stresserleben zu reduzieren. Für die Experimentalgruppe zeichnet sich zudem eine Reduktion des negativen Affekterlebens während des Pendelns ab.

Literatur

Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 50(2), 179-211.

Burk, C. L., & Wiese, B. S. (2018). Professor or manager? A model of motivational orientations applied to preferred career paths. Journal of Research in Personality, 75, 113-132. https://doi.org/10.1016/j.jrp.2018.06.002

Deci, E. L., & Ryan, R. M. (2000). The "what" and "why" of goal pursuits: Human needs and the self-determination of behavior. Psychological Inquiry, 11(4), 227-268. https://doi.org/10.1207/S15327965pli1104_01

Harthan, R. O., Förster, H., Borkowski, K., Böttcher, H., Braungardt, S., Bürger, V., Emele, L., Görz, W. K., Hennenberg, K., Jansen, L. L., Jörß, W., Kasten, P., Loreck, C., Ludig, S., Matthes, F. C., Mendelevitch, R., Moosmann, L., Nissen, C., Repenning, J., … Vos, C. (2023). Projektionsbericht 2023 für Deutschland. UBA. https://publica.fraunhofer.de/handle/publica/452000

McClelland, D. C. (1965). Toward a theory of motive acquisition. American Psychologist, 20(5), 321-333. https://doi.org/10.1037/h0022225

Liste der angefertigten Bachelor- und Masterarbeiten

Fuhrmann, W.M. (2023). Ist Pendeln verlorene Lebenszeit? Eine Interventionsstudie zur kognitiven Neubewertung von berufsbedingtem Pendeln.

Hopp, C. (2023). Analysis of App Usage for Mobility Planning Based on the Theory of Planned Behavior.

Kempers, B. (2021). Besteht ein Zusammenhang zwischen motivationalen Merkmalen der Persönlichkeit und der Arbeitszufriedenheit sowie Produktivität im Homeoffice?

Weinert, M. (2022). Und plötzlich ist alles anders? Ein qualitativer Ansatz zum Einfluss des studienbedingten Wohnortswechsels auf das alltägliche Mobilitätsverhalten.

Wittstamm, J. (2023). Offenheit und Veränderungsträgheit: Zwei Gegenspieler auf dem Weg zur nachhaltigen Mobilität?